Geographie

An der Geographie, die uns ja „erdenkundig“ machen soll, lässt sich beispielhaft aufweisen, in welcher Geschlossenheit Rudolf Steiner den Lehrplan konzipiert hat

Schon in der Heimatkunde (4. Klasse) liegen Möglichkeiten die Einmaligkeiten der Heimatstadt zu erfahren. Von der Heimatkunde führt der nächste Schritt in der 5. Klasse nach Mitteleuropa als erweitertem Heimatraum. In der 5. und 6. Klasse kommt es darauf an, dass die Kinder die Tatsachen genau beschreiben können. »Geländeerfahrungen« verhelfen zu einem aktiven Erleben. In der 6. Klasse steht außerdem eine sogenannte Überblicksepoche im Mittelpunkt. Systematisch entsteht ein Bild der gesamten Erde mit allen Kontinenten und Ozeanen. Bei der wirtschaftlichen Betrachtung des Heimatortes – dieser Gesichtspunkt steht bis in die 6. Klasse im Vordergrund – braucht man nicht bei Landwirtschaft und Handwerk stehen zu bleiben, sondern kann auch heutige Berufsfelder vorstellen – gewissermaßen als eine Vorbereitung auf den Geschichtsunterricht in der 11. und 12. Klasse, in dem wirtschaftsgeographische Fragen zur Sprache kommen. Die übrigen Erdteile werden in der 7. und 8. Klasse unter kulturgeographischem Gesichtspunkt behandelt, was der 12. Klasse vorarbeitet, in der solche Fragen unter dem erweiterten Blickwinkel der heutigen politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse aufgegriffen werden.

In der Mittelstufe sollen die Schüler zunächst anschaulich erleben, was die Unterschiede in Religion und Brauchtum, in den verschiedenen Künsten und handwerklichen Fähigkeiten, aber auch in Sprache und Schrift für die jeweiligen Völker bedeuten. Mit der neunten Klasse beginnt die „Geologische Heimatkunde“. Starke Polaritäten: Hochgebirge, Meeresküsten, Mittelgebirgstypen, Vulkanismus um nur einige Themenbereiche zu benennen, die die Schüler faszinieren werden. Die Ruhr öffnet den Blick in die Welt: In der 10. Klasse lernen die Jugendlichen die Strömungsgesetze des fließenden Wassers bei der Behandlung der Hydrosphäre kennen. In der 9. und 10. Klasse lernen die Schüler*innen die Gesteins- und Wasserhülle der Erde als Teil des lebendigen Erdorganismus verstehen.

Bisher wurden einzelne, geschlossene Erdräume betrachtet, es wurde Länderkunde betrieben. Das weitet nicht nur den Horizont, sondern leistet indirekt einen wichtigen Beitrag zur Entfaltung der Individualität des Heranwachsenden, die sich ja im dritten Jahrsiebt vollzieht. In der Oberstufe tritt den Schülern in der Geographie mit jeder Erdregion ein Stück einmalig geformter, »individualisierter« Erde entgegen. Dadurch wird ihnen in der Außenwelt gespiegelt, was sie selbst gerade seelisch durchmachen. In der Oberstufe erfolgt eine Art Umstülpung in der Betrachtung der Erde als Ganzes. Die Weitung des Gesichtskreises entspricht dem Bedürfnis des Jugendlichen, der sich seelisch-geistig immer weiter entfaltet. Dabei überschreitet der Lehrplan der Klassen neun bis zwölf, wie er sich inzwischen herausgebildet hat, die vier „Hüllen“ der Erde: in der 9. Klasse die Gesteinshülle (Lithosphäre), in der 10. Klasse Wasser- und Lufthülle (Hydro- und Atmosphäre), in der die Erde als Strömungsorganismus erscheint; in der 11. Klasse die menschlichen Daseinsformen, wie sie durch unsere leiblichen und seelischen Bedürfnisse bestimmt werden. In den sogenannten Überblicksepochen der 12. Klasse verbirgt sich in vielen Fächern die Frage nach dem Wesen des Menschen als selbstständige, verantwortliche Persönlichkeit, als Ich. Das entspricht der Entwicklungsphase des 18-Jährigen, der im Unterricht nach Antworten auf diese Frage sucht. Im Geographie-Unterricht der 12. Klasse tritt ihm noch einmal die ganze seelisch-geistige Vielfalt der Menschheit entgegen, wie sie sich in den verschiedenen Kulturkreisen heute darbieten, mit allen auch ungelösten politischen Problemen. Vielleicht kann sich dann in der Seele des Jugendlichen eine Ahnung davon bilden, dass die Erde als „Ich-Träger“ veranlagt ist.

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